Myanmar: „Wir leben in ständiger Angst.“

Myanmar: „Wir leben in ständiger Angst.“


Seit dem Militärputsch in Myanmar im Februar versinkt das Land zunehmend in Gewalt und Chaos. Unser für Myanmar zuständiger Projektreferent Karl Valent berichtet von der Verzweiflung und Angst der Menschen vor Ort.

Zu den Hintergründen

Seit dem Militärputsch in den frühen Morgenstunden des 1. Februars 2021 wurden über 700 Menschen nachweislich getötet (laut AAPP 737; Stand 19.4.2021), darunter mehr als 40 Kinder. Die Dunkelziffer dürfe um einiges höher sein. Das bisher jüngste Opfer war gerade mal 6 Jahre alt. Khin wollte in den Armen ihres Vaters Schutz suchen, als das Militär ihr Haus stürmte und auf das verängstigte Mädchen zielte.

Seit dem Putsch wurden mehrere tausend Menschen festgenommen, unter ihnen der amtierende Präsident Win Myint, die weitgehend bekannte Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi sowie zahlreiche weitere Regierungsmitglieder, Journalist/innen, Künstler/innen und Aktivist/innen. Mehr als 3.000 von ihnen befinden sich noch in Haft, zumeist ohne jegliche Anklage. Die Berichte von Missbrauch, Folter und Totschlag während der Inhaftierung häufen sich. Vereinzelt wurden zur Abschreckung sogar die misshandelten, leblosen Körper vor den Türen ihrer Familien abgelegt. Speziell unter den Menschenrechtsorganisationen ist die Furcht groß, denn auch sie wurden zum Ziel willkürlicher Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.

Das Militär, oder Tatmadaw wie es in Myanmar genannt wird, sieht die Zivilbevölkerung als Feind und schießt mit scharfer Munition auf die bis zuletzt friedlichen Demonstrant/innen. Das belegt auch die fürchterlich hohe Anzahl an durch Kopfschüsse getötete Zivilist/innen. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) sowie zahlreiche weitere internationale Organisationen und hochrangige Regierungsvertreter/innen sprechen seit Wochen von willkürlichen Hinrichtungen, fordern ein sofortiges Ende der Gewalt und die Übergabe der Macht an die legitim gewählte Regierung. Die Tatmadaw streitet weiterhin jegliches Fehlverhalten ab und sieht sich unrechtmäßig beschuldigt. Sie wären doch die wahren Verteidiger der Demokratie. Haben nicht sie eine Regierung entmachtet, die sich vermeintlicher Wahlfälschung schuldig gemacht hat? Zudem gab es keinen Putsch, es bestehe lediglich ein Ausnahmezustand und das Militär regiere übergangsmäßig per Dekret.

Die internationale Gemeinschaft sieht, wenn auch bestürzt, nach wie vor eher noch zu, wie die demokratischen Gehversuche der letzten fünf Jahre zu ihrem sprichwörtlichen Grabe getragen werden. Zwar wird die Situation in den höchsten Gremien der EU und der Vereinten Nationen besprochen und aufs schärfste verurteilt, Sanktionen laufen aber – mitunter aufgrund der Vetos einiger Mitgliedstaaten – nur schleppend an. Bisher wurden 20 Militärangehörige und eine Handvoll militärnahe Firmen im Laufe von 12 blutigen Wochen sanktioniert. Der französische Mineralölkonzern Total geht dennoch unbescholten seinen Milliardenprojekte in Myanmar nach.

Die Zivilbevölkerung Myanmars wünscht sich, nein fordert härtere Maßnahmen gegen das Regime, auch wenn sie selbst darunter leiden würden. Alles besser als eine Rückkehr zur Diktatur. Gleichzeitig schätzen sie den Einfluss des Globalen Nordens auf das lokale Regime eher als marginal ein. Die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partner sind lokal verortet und finden sich im Zusammenschluss der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN). Um eine politische Lösung zu finden, brächte es mitunter viel deutlichere Signale von ihnen. Aber wie heißt es so treffend – wer im Glashaus sitzt der sollte nicht mit Steinen werfen. Und die wichtigsten Wirtschaftspartner Myanmars, China, Thailand, Japan, Singapur und Indien können sich– um es vorsichtig auszudrücken – selbst auch nicht wirklich mit demokratischen Loorbeeren schmücken. Zudem ist die 10-köpfige ASEAN durch einen Kodex der gegenseitigen Nichteinmischung eingeschränkt, der jede sinnvolle Reaktion verhindert.

Somit wieder zurück nach Kalay wo man, wie auch in vielen anderen Gegenden des Landes, nicht mehr an eine politische Lösung glaubt. Zunehmend formieren sich Bürgerwehren, die sich nicht mehr kampflos vom Regime entführen, foltern und/oder erschießen lassen wollen. Man bewaffnet sich und, wenn möglich, schließt Allianzen mit bewaffneten Minderheitengruppen (Ethnic Armed Organisations). Viele von ihnen haben im letzten Jahrzehnt Friedensverträge mit der Zivilregierung unterzeichnet und so einen der längsten anhaltenden Bürgerkriege – defacto seit der Unabhängigkeit Myanmars von der ehemaligen Britischen Kolonialmacht 1948 – wenn schon nicht beendet, so aber doch stark abgeschwächt. Der Unmut vieler der über 130 ethnischen Minderheiten des Landes, ob ihrer strukturellen Diskriminierung und Marginalisierung, ist groß. Ihre Befriedung und Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft war stark an die demokratische Führung des Landes durch Aung San Suu Kyi’s Partei der National League for Democracy (NLD) gebunden, die vom Militär gestürzt wurde. Ein Aufbrechen alter und neuer Konflikte ist somit nicht ausgeschlossen und eine erneute Remilitarisierung ist zu befürchten. So informierte Richard Horsey, leitender Berater der International Crisis Group für Myanmar, den UN-Sicherheitsrat am 9. April: "Myanmar steht am Rande des Staatsversagens, des Zusammenbruchs des Staates".